Gedichte von Carl Spitteler

Carl Spitteler

Carl Spitteler

schweizerischer Dichter und Romanautor, Nobelpreis für Literatur 1919
* 24.4. 1845 - Liestal
29.12. 1924 - Luzern

Ein Flößerjunge trieb zur Stadt flußabwärts mit dem Floß,
Das Floß zog durch den finstern Wald mit Tannen schlank und groß

In einer stillen Seitenbucht sah er der Fräulein viel
Vor einem Inselgartenkiosk jagen im Pfänderspiel.

Vorübergleiten wollte da der kluge Ferge sacht.
Da hatte sich die kecke Schar zum Angriff aufgemacht.

Sie stürmten schreiend an den Strand und enterten das Boot
Und führten ihn gefangen fort. Das litt er ohne Not.

Man band mit einem roten Tuch ihm fest die Augen zu.
"Nun fange dir ein Schätzelein, du frecher Bube du!"

Husch! tappt er blindlings hin und her, reckte den schnellen Arm.
Fischte mit krummen Fingern flink unter dem Mädchenschwarm.

Jetzt faßt er etwas Zappliges am Schopf und Lockenbund,
Das hielt er mit den Armen fest und küßt es auf den Mund.

Sie aber riß ihm zornentbrannt die Binde vom Gesicht:
"Hättest du erraten, wen du fingst, so küßtest du mich nicht."

Der Flößer sah sie blinzelnd an und lächelte ein klein.
"Du bist", versetzt er, "Wildubrand, des Kaisers Töchterlein."

"Ich bin’s", bejahte Wildubrand, "und weil, was du getan,
Du ohne Arglist hast verübt, biet ich dir Gnade an.

Doch wenn dein schnöder Bauernmund, von Eitelkeit gebläht,
Auch nur mit einem einzigen Wort und Zeichen je verrät,

Wes du dich unterfangen, dann - dann Büblein, gnad dir Gott!
Man heilt der Fürstenkinder Ruf mit Henker und Schafott."

Er schwur zu Schweigen immerdar, er schwur es ohne Trug!
Das Glück im stillen Herzensgrund, es schien ihm Glück genug.

Drauf setzt er weiter mit dem Floß die unterbrochne Fahrt,
Platt auf den Rücken hingestreckt, wie das so seine Art.

Und als nun durch den kühlen Bühl die warme Sonne schien,
Da kam allmählich unvermerkt der Schlummer über ihn.

Das Floß ging seinen stillen Gang, gleitend von Baum zu Baum,
Den Flößerjungen schaukelte ein wonniglicher Traum.

Jetzt flüstert er und lallt im Schlaf: "Ihr lieben Leute, wißt:
Ich hab des Kaisers Töchterlein, die Wildubrand, geküßt."

Ein Wiedehopf im Weidenbusch vernahm das frevle Wort,
Das bracht er mit gesträubtem Schopf entsetzt zur Elster fort.

Die Elster trugs zum Papagei, der Papagei zum Star.
Nach einer Stunde wußt es schon die ganze Spatzenschar.

Und als am Abend vor der Stadt er landete beim Zoll,
Da war der ganze Hafenplatz von wildem Aufruhr voll.

Die Menge schrie ihm ins Gesicht, und heimlich seinen Arm
Erfasste mit behendem Griff ein grimmiger Gendarm.

Der führt ihn stracks zum Henker hin, der Henker aufs Schafott.
Da nahte mit dem Kruzifix ein Mönch, gesandt von Gott:

"Bekenne, beichte mir ins Ohr die Sünden alle dein."
"Ich hab geküßt die Wildubrand, des Kaisers Töchterlein."

Der Henker schor die Locken ihm und zog ihm aus den Rock,
Dann legt er ihm das junge Haupt behutsam auf den Block:

"Sprich einen frommen Abschiedsspruch zum Volke klar und laut,
Damit an deiner Reue sich der Gläubige erbaut."

Der Flößer hob den feuchten Blick zum fernen Tannenwald,
Dann schickt er über Stadt und Land die Stimme mit Gewalt:

"O lieber Henker, ziele gut mit deinem scharfen Beil,
Ich spüre keine Reue nicht und hab auch keine feil.

Mein Seel gehört dem lieben Gott, dem Kaiser ist mein Blut,
Doch, daß ich Wildubrand geküßt, des bin ich frohgemut.

Ich jauchz es durch die weite Welt und wills im Himmel schrein:
Ich hab geküßt die Wildubrand, des Kaisers Töchterlein."

Am Ütliberg im Züribiet,
Da steht ein Pulverturm im Riet;
Herr Pestalozzi, der Major,
Pflanzte drei Mann als Wacht davor.

"Hier bleibt ihr stehn, ihr Sackerlott!
Und daß sich keiner muckst und rodt!
Sonst - Strahl und Hagel - gibts etwas!
Verstanden? - Also: merkt euch das."

Drauf bog er um den Albisrank,
Wo er ein Tröpflein Roten trank.
Ein Schöpplein schöpft er oder zwei,
Da weckt ihn eine Melodei.

Dreistimmig wie ein Engelchor
Scholls hinterm Pulverturm hervor.
Da half kein Zweifeln: das ist klar!
Die Schildwach jodelte fürwahr.

Wer galoppiert jetzt ventre á terre
Wie Blitz und Strahl vom Albis her?
"Vor allem haltet dieses fest:
Drei Tage jeder in Arrest!

Ja wohl, das käm mir just noch recht!
Um eines aber bitt ich, sprecht,
Wie diese Frechheit euch gelingt,
Daß einer auf dem Posten singt?"

Da sprach der erste: "Kommandant!
Dort unten liegt mein Heimatland.
Ich schütz es mit der Flinte mein.
Wie sollt ich da nicht lustig sein?"

Der zweite sprach: "Herr Pestaluzz!
Seht ihr das Rathaus dort am Stutz?
Dort wähl ich meine sieben Herrn.
Drum dien ich froh; drum leist ich gern."

Der dritte sprach: "Ich halt als Norm:
´s ist eine Freud, die Uniform.
´s ist eine mutige Mannespflicht.
Da muß man jauchzen. Oder nicht?"

Der Junker schrie: "Zum Teufel hin!
Die erste Pflicht heißt Disziplin!
Ihr Lauser! wart! euch krieg ich schon!
Glaubt mirs!" Und wetterte davon

Am selbigen Abend spät indes
Meint Oberst Bodmer in der Meß:
"Was Kuckucks hat nur der Major?
Er kommt mir heut ganz närrisch vor!

Singt, pfeift und möggt in seinen Bart.
Das ist doch sonst nicht seine Art."
Der Pestalozzi hörte das,
Sprang auf den Stuhl und hob sein Glas:

"Mein lieber Vetter Ferdinand,
Stadtrat und Oberst zubenannt!!
Wenn einer kommt und hat die Ehr
Und dient in solchem Militär

Von wetterfestem Bürgerholz,
Gesteift von Trotz, gestählt von Stolz,
Lausketzer, die man büßen muß,
Weil ihnen schildern ein Genuß,

Mannschaften, wo der letzte Hund
Hat ein Ideal im Hintergrund -
Komm her beim Styx! stoß an beim Eid!
Wer da nicht mitmöggt, tut mir leid."

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