Niemand kann euch etwas eröffnen, das nicht schon im Dämmerneures Wissens schlummert. Der Lehrer, der zwischen seinen Jüngern im Schatten des Tempels umhergeht, gibt nicht von seiner Weisheit, sondern eher von seinem Glauben und seiner Liebe. Wenn er wirklich weise ist, fordert er euch nicht auf, ins Haus seiner Weisheit einzutreten, sondern führt euch an die Schwelle eures eigenen Geistes.
Das Bild der Sonne in einem Tautropfen istnicht weniger als die Sonne selbst.Das Abbild des Lebens in eurer Seele ist nichtweniger wert als das Leben selbst.Ein Tropfen des Taues spiegelt das Lichtwider, denn es ist eins mit dem Licht,und ihr seid ein Ebenbild des Lebens, dennihr und das Leben seid eins.
Ich bin ein Wort, das die Natur gesprochenUnd dann zurückgenommenIn ihrem Herzen barg,Um es ein zweites Mal zu äußern.Ich bin ein Stern, der einst vom blauen HimmelAuf einen grünen Teppich fiel.Ich bin der Elemente Tochter:Im Winter getragen,Vom Frühling geboren,Erzogen vom Sommer;Der Herbst legt mich zur Ruh.Ich bin ein Geschenk für LiebendeUnd eine Hochzeitskrone.Ich bin die letzte Gabe der Lebenden an die Toten.Wenn der Morgen kommt,Künden ich und der WindVom Licht.Und am Abend sagen die Vögel und ich ihm Lebewohl.Ich schwebe über den EbenenUnd verschönere sie.Ich schicke meinen Wohlgeruch in die Lüfte.Ich umarme den Schlummer,Und die mannigfaltigen Augen derNacht blicken lange auf mich.Ich such das Erwachen, um auf das EinzigeAuge des Tages zu schau´n.Ich trinke von des Taues berauschendem NassUnd höre der Amsel Lied.Ich tanze zum Rhythmus des sich wiegenen GrasesUnd blicke immer zum Himmel, das Licht zu sehen,Nicht, um darin mein Bild zu betrachten.Dies ist eine Weisheit, die der Mensch noch nicht kennt.
Das Leben ist verhüllt und verborgen,wie auch euer größeres Selbst verborgenund verhüllt ist.Aber wenn das Leben spricht,werden alle Winde Worte;und wenn es von neuem spricht,so wird das Lächeln auf euren Lippenund die Tränen in euren Aug´ zum Wort.Wenn es singt , hören es die Taubenund sind ergriffen;und wenn es sich langsam nähert,sehen es die Blinden und sind entzücktund folgen ihm verwundert und erstaunt.
Sagt nicht: "Ich habe die Wahrheit gefunden", sondern: "Ich habe eine Wahrheit gefunden."Sagt nicht: "Ich habe den Weg der Seele gefunden."Sagt: "Ich bin auf meinem Weg der wandernden Seele begegnet."Denn die Seele wandelt auf allen Wegen.Die Seele kennt keinen geraden Weg,noch wächst sie wie ein Schilfrohr.Die Seele entfaltet sich,gerade so wie ein tausendblättriger Lotus.
Dann sagte ein alter Mann: Sprich uns vom Essen. Und er sagte: Könntet ihr leben vom Duft der Erde und wie eine Luftpflanze vom Licht erhalten werden! Aber da ihr töten müßt, um zu essen, laßt es eine andächtige Handlung sein. Und euren Tisch laßt einen Altar sein, auf dem das Reine und Unschuldige des Waldes und des Feldes geopfert wird für das, was im Menschen noch reiner und unschuldiger ist. Wenn ihr ein Tier tötet, sagt in eurem Herzen zu ihm: "Durch die gleiche Macht, die Dich tötet,werde auch ich getötet,und auch ich werde verzehrt werden,denn das Gesetz, das dich meiner Hand auslieferte,wird mich einer mächtigeren Hand ausliefern.Dein Blut und mein Blut ist nichts als der Saft,der den Baum des Himmels nährt."Und wenn ihr mit den Zähnen einen Apfel zermalmt, sagt in eurem Herzen zu ihm:"Deine Samen werden in meinem Körper leben,und die Knospen deines Morgenswerden in meinem Herzen blühen,und dein Duft wird mein Atem sein,und zusammen werden wir uns aller Jahreszeiten erfreuen."
Was du für häßlich hältst, ist es nicht das, was du niemals versucht hast zu erreichen und dessen Sinn zu verstehen du niemals wünschtest? Wenn es Häßliches gibt, so sind es die Schuppen auf unseren Augen und das Wachs, das unsere Ohren verstopft. Mein Freund, nenne nichts häßlich außer der Furcht deiner Seele angesichts ihrer eigenen Erinnerungen.
Mein Haus sagte zu mir:"Verlaß mich nicht, denn hier wohnt deine Vergangenheit". Und die Straße sagte zu mir: "Komm und folge mir, denn ich bin deine Zukunft". Und ich sage zu beiden, zu meinem Haus und zu der Straße: "Ich habe weder Vergangenheit, noch habe ich Zukunft. Wenn ich hier bleibe, ist ein Gehen in meinem Verweilen; und wenn ich gehe, ist ein Verweilen in meinem Gang. Nur Liebe und Tod ändern die Dinge."
Da sprach Almitra: „Rede uns von der Liebe.“Und er erhob das Haupt und blickte auf die Menge.Und es fiel ein Schweigen über sie. Und die große Stimme sprach also:„Winkt dir die Liebe, so folge ihr,sind auch ihre Wege hart und steil.Und umfahn dich ihre Flügel, so ergib dich ihr,mag auch das unterm Gefieder verborgne Schwert dich verwunden.Und redet sie mit dir, so trau ihrem Wort,mag auch ihre Stimme deine Träume erschüttern,wie der Nordwind den Garten verwüstet.Denn gleich wie die Liebe dich krönt, so wird sie dich kreuzigen,wie sie deinen Lebensbaum entfaltet, so wird sie ihn beschneiden.Wie sie emporsteigt zu deiner Höheund die zartesten Zweige liebkost, die in der Sonne erbeben,ebenso wird sie hinabsteigen zu deinen Wurzelnund sie aufrütteln in ihrem Festklammern am Erdboden.Gleich Garben von Korn rafft sie dich an sich.Sie drischt dich, um dich zu entblößen.Sie siebt dich, um dich von Spreu zu befrein.Sie zermalmt dich, bis du weiß wirst,sie knetet dich, bis du geschmeidig bist.Und dann beruft sie dich an ihr heil‘ges Feuer,auf daß du heil´ges Brot werdest zu Gottes heil´gem Festmahl.All dies soll die Liebe dir antun, auf daß du kennest das Geheime deines Herzens und in diesem Wissen ein Bruchteil werdest vom Herzen des Lebens.Doch suchest du in deiner Angst nur der Liebe Ruh‘ und der Liebe Lust,dann tätest du besser, deine Nacktheit zu verhüllenund der Liebe Tenne zu entfliehn,in die schale Welt, wo du wirst lachen,doch nicht ein ganzes Leben, und weinen,doch nicht all deine Tränen.Liebe gibt nichts als sich selber und nimmt nichts aus sich selbst heraus.Liebe besitzet nicht und läßt sich nicht besitzen;denn Liebe genügt der Liebe.Wenn du liebst, so sage nicht: „Gott in meinem Herzen“,sag‘ lieber: „Ich bin in Gottes Herzen.“Und denke nicht, du könntest der Liebe Lauf lenken;denn Liebe, so sie dich würdig schätzt, lenkt deinen Lauf.Liebe hat keinen anderen Wunsch, als sich zu erfüllen.Doch so du liebst und noch Wünsche haben mußt,so seien dies deine Wünsche:Zu schmelzen und zu werden wie ein fließender Bach,der sein Lied der Nacht singt.Zu kennen die Pein allzu vieler Zärtlichkeit.Wund zu sein von deinem eigenen Verstehen der Liebe;und zu bluten, willig und freudigen Herzens.Zu erwachen beim Morgenrot mit beschwingter Seeleund Dank zu bringen für einen neuen Tag der Liebe,zu rasten um die Mittagsstund‘und nachzusinnen über der Liebe Verzückung;Heimzukehren in Dankbarkeit, wenn der Abend graut;und dann einzuschlafen, mit einem Gebet für deine Liebeim Herzen und einem Lobgesang auf deinen Lippen.
Und ein Kaufmann sagte: Sprich uns vom Kaufen und Verkaufen.Und er antwortete und sagte: Die Erde gibt euch ihre Frucht, und es wird euch an nichts mangeln, wenn ihr nur wißt, wie ihr eure Hände füllt. Im Austausch der Gaben der Erde werdet ihr Fülle finden und gesättigt sein. Doch wenn der Austausch nicht in Liebe und in freundlicher Gerechtigkeit stattfindet, wird er bloß einige zur Gier und andere zum Hunger führen. Wenn ihr Arbeiter des Meeres, der Felder und der Weinberge auf dem Markt die Weber, Töpfer und Gewürzhändler trefft, dann beschwört den höchsten Geist der Erde, in eure Mitte zu kommen und die Waagen und die Rechnungen zu segnen, die Wert gegen Wert abwägen.Und duldet bei euren Tauschgeschäften nicht die mit leeren Händen, die ihre Worte gegen eure Arbeit verkaufen möchten. Solchen Männern solltet ihr sagen: »Kommt mit uns aufs Feld oder fahrt mit unseren Brüdern zur See und werft eure Netze aus; denn das Land und das Meer werden sich euch gegenüber genauso freigebig zeigen wie uns«. Und wenn die Sänger und Tänzer und die Flötenspieler kommen, nehmt auch von ihren Gaben. Denn auch sie sind Sammler von Früchten und Weihrauch, und was sie bringen, obwohl aus Träumen geschaffen, ist Kleidung und Nahrung für eure Seele. Und bevor ihr den Marktplatz verlaßt, seht zu, daß niemand mit leeren Händen seines Weges gegangen ist. Denn der höchste Geist der Erde wird nicht friedlich auf dem Wind schlafen, bis die Bedürfnisse auch des Geringsten unter euch befriedigt sind.