Gedichte von Friedrich Theodor von Vischer

Friedrich Theodor von Vischer

deutscher Philosoph und Lyriker, Erzähler, Ästhetiker
* 30.6. 1807 - Ludwigsburg
14.9. 1887 - Gmünden

Mein Kätzlein
Klagelied

Man fand dich fern vom warmen Hause,
Bedrängt von Schnee und eis´gem Wind,
Trug dich zu meiner stillen Klause,
Verirrtes armes Katzenkind.

Du schrie´st und klagtest in dem neuen
Unheimlich bücherreichen Ort,
Doch bald verschwand dein wildes Scheuen,
Du fühltest dich in sich´rem Hort.

Trafst du doch einen biedern Kater
Im Haus des unbekannten Manns,
Und dich empfing fast wie ein Vater
Der munt´re Rattenfänger Hans.

Du warst noch etwas unerzogen,
Vergingest dich in manchem Stück,
Doch führte, mütterlich gewogen,
Die Rike dich zur Pflicht zurück.

Das Spiel begann, ein lustig Jagen,
Ein Wettkampf in verweg´nem Sprung,
Ein Raufen, Purzeln, Überschlagen,
Mit welcher Grazie, welchem Schwung!

Und kam der Herr, dich sanft zu streicheln,
Wie sprangst du gern auf seinen Arm
Und riebst mit Schnurren und mit Schmeicheln
An ihm dein Pelzchen, zart und warm.

Du dientest mir zu allen Stunden
Mit Arlecchino-Schelmerei´n,
Wie tief hast du die Pflicht empfunden,
Mein dankbarer Hanswurst zu sein!

Nie war uns bang, die Witze gehen
Zum komischen Ballet dir aus,
Durch stete Fülle der Ideen
Belebtest du das ganze Haus.

Und wenn du endlich schlummern solltest,
Zogst du den Hund als Lager vor,
Du schmiegtest dich an ihn und nolltest
Im halben Schlaf an seinem Ohr.

Dein Anzug, elegant im Schnitte,
War blaugrau, mit Geschmack verziert,
Brust, Pfötchen, Antlitz bis zur Mitte
Mit Weiß symmetrisch decorirt.

Doch was ist Schmuck? Die eig´nen Formen
Kann aller Aufputz nur erhöhen;
Gebildet wie nach griechischen Normen –
Ich darf es sagen, du warst schön.

Die Nase fein, die Augen helle,
Zart rosenfarb der kleine Mund,
Jedwede Linie eine Welle
Und jede Regung weich und rund.

Da kam, von Teufeln angestiftet,
Ein Mäuschen her in einer Nacht –
Du fraßest es, es war vergiftet,
Und ach! dein Schicksal war vollbracht.

Nicht ganz; noch Höllenqualentage,
Brandschmerz und grimmen Durstes Pein
Durchlebtest du, und ohne Klage,
Dann schliefst du endlich lautlos ein.

Es suchen dich die alten Freunde
In jedem Winkel aus und ein,
Du warst der liebenden Gemeinde,
Was einst der Max dem Wallenstein.

Mag nur die Spötterwelt es wissen:
Du thust mir tief im Herzen leid,
So jäh, so graß herausgerissen
Aus deiner Jugend Heiterkeit.

Vor Hungertod konnt´ ich dich wahren,
Nicht vor der rohen Menschheit Gift,
Es schützen keines Hauses Laren
Vor Mord, der in die Ferne trifft.

Ich trüge wahrlich noch viel eher
Manch´ eines Thiervergifters Tod.
Verzeih´ mir´s Gott, sie geht mir näher,
Des armen Kätzleins Todesnoth.

Und leb´ ich nach dem Lärm hienieden
Noch fort auf einem stillen Stern,
Sei auch in Gnaden herbeschieden
Das Kätzlein zu dem alten Herrn.

Wer der Meine wohl wird werden?
Ob mein Aug´ ihn wohl schon sah?
Wo er wandeln mag auf Erden?
Ist er ferne oder nah´?
Wird er schön von Angesichte
Oder doch nicht häßlich sein?
Krause Locken? Augen lichte?
Groß von Wuchse oder klein?
Stark von Gliedern oder schmächtig?
Ob er leicht im Tanz sich schwenkt?
Ob er nüchtern, streng, bedächtig,
Oder recht romantisch denkt?
Oberamtmann oder Richter
Voller Ernst und Gravität?
Ist er Künstler, oder Dichter?
Ob er auch Musik versteht?
Ein Gelehrter, reich an Wissen,
Der studiert und Bücher schreibt,
Dem jedoch zu Scherz und Küssen
Wenig Zeit nur übrig bleibt?
Ist er wohl vom Handelstande?
Ist´ s ein Kriegsmann, keck und brav?
Ist er Pfarrer auf dem Lande,
Oder gar ein schöner Graf?
Ist die Liebe denn recht innig,
Die er dann im Herzen trägt,
Da das meine ja so minnig
Jetzt schon ihm entgegenschlägt?
Sagt mir´s, holde Blütendüfte,
Die ihr weht in´s Kämmerlein,
Sagt mir´s, leise Abendlüfte,
Sag´ mir´s, sanfter Mondenschein!
Sagt mir´s, Elfen, kleine, lose,
Die ihr lauscht und lacht und nickt,
Sag´ mir´s, süße, rothe Rose,
Die mir in das Fenster blickt!
Saget mir´s, ihr klugen Sterne,
Die heraus am Himmel zieh´n!
Triebe schwellen in die Ferne,
Und sie wissen nicht, wohin?
Liebesarme stehen offen,
Ach, wen sollen sie empfah´n?
Lippen, die auf Küsse hoffen,
Ach, wer wird zum Kusse nah´n?
Oder soll ich lieber sagen,
Lieblich sei´s, so blind zu sein?
Dieses Klagen, dieses Fragen
Sei uns Mädchen süße Pein?
Träume können sel´ger spielen
Kindern gleich im leeren Haus,
Wenn nach unbekannten Zielen
Holde Wünsche ziehen aus?
Freudig Bangen! Bange Freude!
Ungewisser, finde mich!
Leid in Lust und Lust im Leide!
Künftiger, ich liebe dich!

Gedichte by Friedrich Theodor von Vischer
0 0