Minne hält, das wilde Kind,
Einen Brauch, wie blind sie fahre,
Daß ihr vierundzwanzig Jahre
Lieber stets als vierzig sind;
Altersfrost und graue Haare
Treiben sie zur Flucht geschwind.

Bei des Herzens Rosenfest
Gilt vor aller Weisheit Schätzen
Selig Stammeln, süßes Schwätzen,
Lipp´ auf Lippe stumm gepreßt;
Geist wird nie den Mund ersetzen,
Der sich feurig küssen läßt.

Was verstrickte denn so jäh
Einst das junge Herz Isolden,
Daß sie sich mit ihrem Holden
Glühend stürzt´ in Schmach und Weh?
Tristans Locken wallten golden,
König Markes weiß wie Schnee.

Darum setze dich zur Wehr,
Glänzt in´s alternde Gemüthe
Dir der Schönheit Strahl, und hüte
Dich vor nichtigem Begehr;
Minneglück will Jugendblüte,
Und du änderst´s nimmermehr.

Emanuel Geibel
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