Am Erkerhaus hält stille Wacht
Ein altes Muttergottesbild,
Das lächelt mütterlich und mild,
Vom steingeschnitzten Baldachin
Gar traulich überdacht.
Mit Rosen ist das Bild umrankt,
Ein Lämpchen ihm zu Füßen schwankt
Im Winde hin und her.

Im Schatten, wo der Brunnen rauscht,
Steh´ ich versteckt und harre bang –
Klang nicht ein Schritt im Treppengang,
Der in die enge Gasse biegt? –
Mein Herz zuckt auf und lauscht –
Kein Fenster klirrt, kein Haustor knarrt,
Nur meine Sehnsucht lauscht und harrt.
Wie tot die Gasse liegt!

Rotlich umspielt das Heil´genbild –
O Gottesmutter, lieb und gut,
Weißt du, wie weh solch Warten tut?
Das heiße Herz den Liebsten ruft,
Der Mund brennt sehnsuchtswild –
Und breiten sich die Arme weit,
Umfangen sie in Ewigkeit
Doch nur die leere Luft.

Ob er wohl gar gestorben ist?
Ich sah ihn schon so lang nicht mehr –
Doch träum´ ich manchmal schwül und schwer,
Daß er nun eine andre küßt
Und meiner Liebe lacht –
Und lausche dennoch stundenlang
Am dunklen Tor auf seinen Gang
In Sehnsucht Nacht für Nacht.

Thusnelda Wolff-Kettner

Zusätzliche Informationen

»Sonntags-Zeitung für Deutschlands Frauen«, Jahrgang 1911/1912
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