Ich hab in kalten Wintertagen
In dunkler, hoffnungsarmer Zeit
Ganz aus dem Sinne dich geschlagen
O Trugbild der Unsterblichkeit.

Nun, da der Sommer glüht und glänzet,
Nun seh ich, daß ich wohlgetan,
Aufs neu hab ich das Haupt bekränzet,
Im Grabe aber ruht der Wahn.

Ich fahre auf dem klaren Strome,
Er rinnt mir kühlend durch die Hand,
Ich schau hinauf zum Blauen Dome
Und such – kein bessres Vaterland.

Nun erst versteh ich, die da blühet,
Oh Lilie, deinen stillen Gruß:
Ich weiß, wie sehr das Herz auch glühet,
Daß ich wie du vergehen muß!

Seid mir gegrüßt, ihr holden Rosen;
In eures Daseins flücht´gem Glück –
Ich wende mich vom Schrankenlosen
Zu eurer Anmut froh zurück.

Zu glühn, zu blühn und ganz zu leben,
Das lehret euer Duft und Schein,
Und willig dann sich hinzugeben
Dem ewigen Nimmerwiedersein.

Gottfried Keller
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